Erklärung des Erhard-Eppler-Kreises

27. Juli 2024

Wir, die Mitglieder des Erhard-Eppler-Kreises, sind tief besorgt über die Schlagseite, mit der gegenwärtig über Pro und Contra einer Stationierung von US-Langstreckenraketen in Deutschland und Wege zu einem Ende des Blutvergießens in der Ukraine debattiert wird.

Der Großteil der medial verbreiteten Einschätzungen geht davon aus, dass ein Waffenstillstand in der Ukraine und der Schutz Europas vor Putins imperialistischem Streben nur durch Abschreckung und gegenwärtig ohne damit einhergehende Aufforderung zum Eintritt in Abrüstungsverhandlungen gelingen kann.

Als Demokraten respektieren wir diese Position. Zu einem demokratischen Ringen um den richtigen Weg gehört aber auch, dass auch unsere und von vielen geteilte gänzlich andere Einschätzung respektiert wird.

Wie Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, warnen wir eindringlich davor, die Gefahren einer Stationierung von Langstreckensystemen mitten in Europa zu unterschätzen.

Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob unser dicht besiedeltes Land zum Ziel eines atomaren Erstschlags werden könnte - eine Frage, die auch die glühendsten Befürworter dieser Art von Abschreckung nicht definitiv ausschließen können. Dessen ungeachtet wird Kritik - in der Sache ebenso wie in Bezug auf das Zustandekommen der Entscheidung und ihre Kommunikation - entweder totgeschwiegen oder in einer Weise herabgesetzt, die mit dem Stil einer demokratischen Debatte nicht in Einklang steht.

In der veröffentlichten Meinung wird der Eindruck erweckt, dass nur diejenigen „erwachsen“ und Experten seien, die allein auf Abschreckung mit ausschließlich in Deutschland stationierten Lenkwaffen großer Reichweite setzen. Zugleich wird das Plädoyer, „abseits des Schlachtfelds Wege zu einem Ende der Kämpfe“ zu suchen (Mützenich) als Aufruf von Träumern diskreditiert, die weiße Flagge zu hissen und dafür die Knechtschaft Putins in Kauf zu nehmen. Das ist ein inakzeptabler Umgang miteinander.

Wer die Suche nach Wegen abseits des Schlachtfeldes ausschließt, muss erklären, wie er einen Krieg beenden will, ohne das Schlachtfeld auszuweiten. Der Glaube, Raketenbasen der NATO blieben davon unberührt, wird jedenfalls von Beobachtern in Frage gestellt, die mit Fug und Recht den Titel „Experte“ für sich in Anspruch nehmen können.

Was uns befremdet ist das Schweigen der Führungen von SPD und SPD-Bundestagsfraktion zu der von Rolf Mützenich angestoßenen Debatte. Wir erleben tagtäglich nicht nur an der sozialdemokratischen Parteibasis, wie vielen Rolf Mützenich aus der Seele spricht. 

Wir erwarten auch von der Führungsebene der Partei und der Fraktion, Farbe zu bekennen und den Fraktionsvorsitzenden gegenüber abqualifizierenden Vorwürfen zu verteidigen. Und wir würden uns von der Parteispitze gegenüber den Medien mehr sichtbaren Einsatz dafür wünschen, dass kontroverse Positionen in der Stationierungsfrage ohne Vorverurteilung einer Seite fair gegenübergestellt werden. Auch Schweigen ist eine Meinungsäußerung.

 

Unterzeichner für den Leitungskreis

  • Dr. hc. Gernot Erler
  • Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker 
  • Dr. Norbert Walter-Borjans 
  • Axel Fersen
  • Cay Gabbe
  • Albrecht Bregenzer
  • Herbert Sahlmann

 

Über den Erhard-Eppler-Kreis „Frieden 2.0“

Der Erhard-Eppler-Kreis "Frieden 2.0" ist ein politischer Arbeitskreis, den Erhard Eppler noch kurz vor seinem Tod ins Leben gerufen hat. Er entstand aus Sorge über die Gefahren, die durch die Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA im Jahr 2019 entstanden sind. Der Kreis führt das Erbe von Erhard Eppler fort, organisiert Veranstaltungen, arbeitet mit Institutionen zusammen und fördert den Dialog mit politischen Entscheidungsträgern mit dem Ziel, die Mechanismen des Friedens verständlich zu machen.

Erhard Eppler (1926-2019) war ein deutscher SPD-Politiker, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit (1968-1974), Bundestagsabgeordneter (1961-1976), Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg (1976-1982), SPD Landesvorsitzender von Baden-Württemberg (1973 - 1981), Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission (1973 - 1992), langjähriges  Mitglied im SPD-Bundesvorstand und im SPD-Präsidium. Erhard Eppler war eine bedeutende Persönlichkeit der Friedensbewegung der 1980er Jahre, zudem 1983 Präsident des Kirchentages der EKD.

Erklärung des Vorstandes des Willy Brandt Kreises zur geplanten Stationierung von US-amerikanischen Langstreckenwaffen, 31. Juli 2024

Es ist sehr zu begrüßen, dass der Erhard-Eppler-Kreis die Diskussion über die geplante Stationierung von konventionell bestückten Langstreckenwaffen in Deutschland eröffnet hat. Wir unterstützen die Impulse des Kreises für eine vertiefte Diskussion der Problematik nachdrücklich.

Die bilaterale Vereinbarung zwischen der deutschen und der US-amerikanischen Regierung zur Stationierung landgestützter Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite von bis zu 3000 km darf nicht aus der Exekutive heraus getroffen werden. Es braucht eine ausführliche, tiefgehende Diskussion in unserem Land, im Parlament, in den Parteien und auch innerhalb der NATO Mitgliedsstaaten sowie konzeptionelle Erklärungen.

Zu den Argumenten, die in diesen Abwägungsprozess für eine dauerhafte Stationierung einbezogen werden müssen, gehören folgende:

  • In der gemeinsamen Erklärung des Washingtoner NATO-Gipfels ist kein Bezug auf die bilaterale Vereinbarung zwischen der deutschen Regierung und der US-amerikanischen Regierung enthalten. Die bilaterale Vereinbarung bedeutet deshalb eine Singularisierung Deutschlands in Europa, da die Risiken der Stationierung nicht von den europäischen Partnern geteilt werden. Deutschland würde zu einem vorrangigen Ziel russischer Raketenangriffe.
  • Die Stationierung landgestützter Langstreckenwaffen hat das Potenzial von deutschem Boden aus auch Ziele von strategischer Bedeutung Russlands anzugreifen.
  • Gegenüber bereits vorhandenen see- und luftgestützten Systemen werden die verbleibenden Warnzeiten teilweise drastisch verkürzt. Dies bedeutet ein hohes Risiko von Fehlwahrnehmungen und Fehlreaktionen – mit möglicherweise katastrophalen Folgen.
  • So lange es keine umfassende Abrüstung gibt, wird man auf Abschreckung nicht verzichten können. Mit dieser Feststellung kann aber nicht jede Rüstungsmaßnahme automatisch gerechtfertigt werden.

Ob sich angesichts der vorhandenen luft- und seegestützten Fähigkeiten von konventionellen Präzisionsflugkörpern der NATO wirklich eine Erhöhung des Abschreckungseffekts durch neue, landgestützte Langstreckenwaffen ergibt, ist umstritten. Aber selbst wer die Notwendigkeit von neuen Systemen behauptet, muss die dramatischen Risiken, die damit verbunden wären, wie z.B. eine verstärkte nukleare Bedrohung durch Russland, deutlich machen und abwägen.

Uns besorgt vor allem, dass in den Plänen in keiner Weise reale Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie es zu notwendigen Gesprächen und Vorschlägen zu gangbaren Rüstungskontrollschritten kommen kann. Die Gefahr ist akut, dass es zu einem neuen, teuren und gefährlichen Rüstungswettlauf auf Seiten der NATO und Russlands kommt und die nukleare Bedrohung zudem gesteigert wird.

Das müssen wir mit allen politischen Möglichkeiten verhindern. Wir benötigen stattdessen neue Impulse für internationale Zusammenarbeit, damit die drängenden Krisen der Welt angepackt werden und nicht enorme Ressourcen in ein erneutes Wettrüsten fließen. Der UN-Zukunftsgipfel, der im September 2024 in New York stattfindet, sollte ein solcher äußerer Anlass sein.

http://www.willy-brandt-kreis.de/

Öffentliche Unterstützerliste

Wir erhalten derzeit eine Vielzahl von Nachrichten von Unterstützern, die sich gerne öffentlich zu unserer Erklärung vom 27. Juli bekennen möchten.

Unterstützer aus dem Erhard-Eppler-Kreis

  • Antretter, Robert, MdB a.D.
  • Causemann, Klaus
  • Erler, Dr. hc. Gernot, Vorsitzender
  • Bregenzer, Albrecht
  • Dieterich, Paul, Prälat i.R.
  • Fersen, Axel
  • Gabbe, Cay
  • Helber, Roland
  • Lieven, Alexander
  • Wolfgang Brinkel
  • Sahlmann, Herbert
  • Walter-Borjans, Dr. Norbert, Finanzminister NRW a.D.
  • von Weizsäcker, Prof. Ernst Ulrich, Vorsitzender

 

Unterstützer aus der Öffentlichkeit

  • Ralf Stegner, MdB
  • Michael Müller, MdB
  • Dr. Carsten Sieling, MdB a.D.
  • Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin a.D.
  • Willi Lemke, Senator a.D.
  • Heide Lemke
  • Dietrich Lemke
  • Anke Brunn, Staatsministerin a.D.
  • Dr. Axel Berg, MdB a.D.
  • Dr. Dr. h.c. Arne Clemens Seifert, Botschafter a.D.
  • Golnar Sepherina
  • Prof. Dr. Heinz Stapf-Finé
  • Frank Schmiedchen
  • Dr. Wolfgang Lieb, Staatssekretär a.D.
  • Manuel Baumert
  • Rahr, Alexander
  • Hans Becker
  • Gerhard Ballewski, RD a.D.
  • Christoph Bayer, MdL a.D. 
  • Dagmar Wepprich-Lohse
  • Christoph Marischka
  • Susanne Fersen
  • Christoph Habermann, Staatssekretär a.D.
  • Helmut Schöpflin
  • Prof. Dr. Gerhard Brunn
  • Iris Lederer 
  • Prof. Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister a.D.
  • Ingrid Hentzschel
  • Miguel Fersen 
  • Michael R.H. Phelps
  • Arno Gottschalk, MdL
  • Dr. Ute Finckh-Krämer, MdB a.D.
  • Christian Wolff, Pfarrer i.R.
  • Frank Schurgast
  • Dr. Alexander Neu, MdB a.D.
  • Stefan Michel
  • Gunnar Eisold, MdL a.D.
  • Gerd Pflaumer
  • Reinhold Wetjen
  • Stefano Jardella
  • Klaus Peter Lohest
  • Wolfgang Jüttner, Minister a.D., Hannover
  • Dr. Daniel Engert
  • Friedhelm Hilgers
  • Hans-Dietrich Pallmann
  • Dr. Günter Bonnet

 

Initiativen die die Erklärung unterstützen

  • Mahnwache für Frieden Lüchow-Dannenberg

 

info@erhard-eppler-kreis.de

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